12 Richtige: Dinge, die auch im digitalen Zeitalter ein haptischer Gewinn sind

Der Begriff „Dematerialisierung“ steht im Zeitalter der Digitalisierung für die drastische Reduzierung der Materialien, die für die Produktion und den Verbraucherbedarf auf der Erde verwendet werden. „Alles, was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert werden.“ Dieser Satz begegnet immer wieder. Wirklich „fassbar“ macht er die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung jedoch nicht.
Du lebst. Erinnerst Du Dich?
Dazu braucht es echte Dinge und ein greifbares Erleben, wie es auch die aktuelle Kampagne des Baumarkts Hornbach zeigt: „Du lebst. Erinnerst Du Dich?“ In der Plakatwerbung gräbt sich eine erdverschmierte Männerhand ins Moorgewächs, und im Onlineauftritt wird ein Videoclip mit dem Geräusch übertragen, das Hände machen, wenn sie in einen Wasserbehälter eintauchen: „Weißt Du noch, wie sich Wasser anfühlt?“ – „Hör es. Fühl es. Jetzt und hier.“
Der Versuch, Alltagsgegenstände zum Sprechen zu bringen
Mit fortschreitender Digitalisierung wächst heute nicht nur die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Wahrhaftigkeit und Achtsamkeit an, sondern auch die Rückbesinnung auf die „Resonanzqualitäten der Dinge“: So ist eine steigende Zahl von Dingausstellungen, -geschichten und –forschungen zu verzeichnen.
Die Rückkehr der „Materialitäten“ ist ebenso in der Kultursoziologie zu beobachten: „Der Versuch, Alltagsgegenstände in Museen und Ausstellungen zum Sprechen zu bringen, und das Bestreben, museale und/oder handgemachte Objekte gleichsam artifiziell in den Alltag zu (re)-integrieren, um diesem eine Stimme und ein Gesicht zu geben, könnten zwei Weisen des gleichen Bemühens sein, der erstarrten Dingwelt der (Spät-)Moderne wieder Resonanzqualitäten zu verleihen.“ Schreibt der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa in seinem aktuellen Buch „Resonanz“.
Wir alle brauchen Dinge für unsere Identität und Stabilität
Bei den Kreativen ist die Sehnsucht nach greifbarer Überschaubarkeit der eigenen gestaltbaren Welt besonders ausgeprägt. So hat der amerikanische Bestsellerautor John Irving eine seltsame Begeisterung für Papier, Stifte und Arbeitsrituale entwickelt. Es ist, „als könnte man den Ideen des Autors über sein Werkzeug irgendwie näherkommen als mit seinen Büchern“, bemerkt Thomas Pletzinger, der den Schreibtisch des Autors auf schönste Weise beschrieben hat: „In einem Marmeladenglas stehen Dutzende angespitzte Bleistifte, daneben Zwanzigerjahre-Postkarten aus Zermatt, Radiergummis, gelbe Notizblöcke, weißes Papier. John Irvings Schreibtisch.“ (DER SPIEGEL 13/2020). Auch der französische Philosoph und Essayist Paul Valéry hatte eine Vorliebe für unnütze kleine Dinge: So befanden sich in einer Schublade („Kramschublade“) seines Arbeitstisches Lappen, Stückchen von Schnüren, Kerzenstummel, Zangen, Werkzeuge.
Eine Art Aufbewahren
Auch Tamara Dietl entdeckte im Nachlass ihres Mannes Helmut Dietl etliche persönliche Dinge wie Briefe, Notizbücher, Korken von Weinflaschen, Flugtickets und Koffer. Dazu gehören auch die beiden mechanischen Schreibmaschinen, auf denen er geschrieben hat, aber auch runtergespitzte Bleistifte, „mit denen er seine Drehbücher skizzierte, ob für ‚Kir Royal‘, ‚Monaco Franze‘, ‚Münchner Geschichten‘ oder ‚Rossini‘ sind noch mehr als 200 da.“ Nach dem Tod des Regisseurs, der eine „Sammelwut“ hatte, begann seine Frau, den Nachlass zu sichten, was für sie auch noch einmal „eine Art Aufbewahren“ ist (Süddeutsche Zeitung, 23.3.2020).
Das Thema reicht aber noch weiter: Was von den 150 verstorbenen Menschen bleibt, die 2020 in jener Germanwings-Maschine saßen, die Andreas Lubitz absichtlich gegen einen Berg schleuderte, sind Dinge: In den Trümmern fanden Helfer alltägliche Dinge wie Kleider, Armbänder, Ausweise, Schlüssel, Gürtelschnallen und Fotos – für Angehörige und Freunde sind es Symbole des Gedenkens.
Von Menschen und Dingen
In den vergangenen Jahren standen in diesem HuffBlog immer wieder „Ding“-Themen im Fokus, die auf den ersten Blick unscheinbar sind, aber dennoch eine enorme gesellschaftliche Bedeutung haben, weil sie für Selbstbestimmung und Überschaubarkeit des eigenen Handelns stehen. Um Nachhaltigkeitsaspekte von Beginn an zu integrieren, wurde Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation der memo AG, als Nachhaltigkeitsexpertin regelmäßig um Kommentare und Beispiele gebeten. Jeder Onlinebeitrag über die Dinge des Lebens wurde von ihr um nachhaltige Produktalternativen und aktuelle Entwicklungen ergänzt.
Aber auch ihre persönlichen Gedanken und Reflexionen sind in die Webbeiträge eingewoben worden. Greifbare Dinge haben für sie eine besondere Bedeutung, weil sie das Erklärbare, Bodenständige und Immobile braucht. Das gibt ihr Sicherheit, Halt und Schutz: „Wo das ‚Greifbare‘ ist, bin auch ich und mein zu Hause.“ Die Dinge, die wir heute tun, müssen sich nicht ausschließen mit denen, die wir haben – in vielen Produkten kann sich auch die eigene Haltung spiegeln und unser Umgang mit Energie, die zugleich eine Kapazität ist, Dinge zu (ver)ändern. Aus einer Vielzahl von Dingen wurden hier jene in alphabetischer Reihenfolge ausgewählt, die einen konkreten Bezug zur Entnetzung, zum Selbstdenken und Handeln haben.
1. Besen
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- Gegen den Dreck der Welt: Da hilft nur wegfegen
- Bürger rufen zur Revolte mit dem Besen auf und Künstler entdecken die Borsten neu
- Immer der nächste Besenstrich! Was wir von einem Straßenkehrer lernen können
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2. Briefe
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3. Fahrräder
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4. Lampen
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5. Notizbücher
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6. Radiergummi
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7. Schreibmaschine
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- Schreiben und bleiben. Vom Luxus, selbstbestimmt zu handeln
- Bing! Darum wird die Schreibmaschine nicht verschwinden
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8. Sneakers
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9. Stifte
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- Schreiben und bleiben. Vom Luxus, selbstbestimmt zu handeln
- Warum wir Gefühle durch Symbole ausdrücken
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10. Telefonzellen
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11. Uhren
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12. Vogelhäuser
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Autorin Dr. Alexandra Hildebrandt ist Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie von 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“. Alexandra Hildebrandt ist Sachbuchautorin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Mitinitiatorin der Initiative www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de. Sie bloggt regelmäßig für die Huffington Post zu Nachhaltigkeitsthemen und ist Co-Publisherin der Zeitschrift „REVUE. Magazine for the Next Society”.
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